Ein wilder Ritt

Young Ho Kim hält nicht viel von Dogmen. Weder im Yoga noch im Leben. Sein auf anatomisch korrekter Ausrichtung basierender Stil Inside Yoga hinterfragt ungeniert alte Traditionen, beim Inside Flow führt moderne Musik Atem und Bewegung. Der gebürtige Koreaner denkt «big»: Das hat ihm ein mehr als 800 Quadratmeter grosses Studio in Frankfurt beschert und ihn vor allem in Asien zu einem Rockstar der Yogawelt gemacht. 


Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie die erste Yogastunde aussah, die Young Ho Kim besucht hat. Erzähl bitte.

 

Ich war 22 Jahre alt und meine erste Beziehung war nach sechs Jahren in die Brüche gegangen. Ich war so fix und alle, dass ich die Tochter meines Taekwondo-Meisters anrief, die wie eine grosse Schwester für mich war. Sie sagte, sie sei gerade in den USA, um Yoga zu machen und ich solle rüberkommen. Also habe ich mir ein Ticket gekauft und bin am nächsten Tag geflogen. In Encinitas angekommen, war ich selben Tag in einer Ashtanga- und in einer Bikram-Klasse. 

 

Und, wie war es?

 

Klar dachte ich vorher, Yoga, was ist das schon? Und natürlich habe ich die physische Anstrengung total unterschätzt. Ehrlich gesagt war es brutal anstrengend. 

 

Wie hast Du auf das ganze Drumherum reagiert?

 

Ein bisschen irritiert war ich schon. Aber mit dem Esoterischen kann ich umgehen, ich bin mit Räucherstäbchen und Mantras aufgewachsen. Meine Grossmutter war streng buddhistisch und häufig im Tempel. Und Zen Buddhismus kannte ich durchs Taekwondo. Ich habe mit 15 Jahren selbst angefangen, Zen Buddhismus zu praktizieren. Langes Sitzen, Mantren Singen, Dharma Talks – das war nichts Neues für mich. Das fand ich im Yoga sogar ein bisschen lahm. Zen Buddhismus ist viel strenger.

 

Wie sehr hat Dich die Praxis angesprochen?

 

Es war anders, aber das Physische hat mich definitiv angezogen. Ich komme vom Kampfsport. Da geht es darum, schnell zu sein, flink, das richtige Timing zu erwischen, den Körper in Schnelligkeit zu kontrollieren. Im Yoga ist es genau anders herum. Yoga schärft den Geist durch Langsamkeit. Für mich war Yoga anfänglich eine sehr interessante Mischung aus Kampfsport und Qigong bzw. Tai-Chi.

Welchen Eindruck hat die Yogaszene damals auf Dich gemacht – Ende der 90er Jahre in Kalifornien?

 

Die Ashtanga-Leute waren sehr ernsthaft. Bloss nicht lachen! Aber das kannte ich ja schon vom Kampfsport. Bikram Yoga war einfach nur Vanity Fair – gerade in Kalifornien. Die Männer hatten nur kurze Höschen an, die Frauen Bikinis und alle haben sich die ganze Stunde über im Spiegel angeschaut.

 

Hast Du Dir, zurück in Deutschland, ein Studio gesucht zum Praktizieren?

 

Nein, damals habe ich hier keinen Zugang gefunden. Es gab ja praktisch keine Szene. Ich bin immer wieder in die USA geflogen, sobald ich Geld hatte. 

 

Und hast Dir dann überlegt, dass Du Yogalehrer wirst?

 

Ich erzähle Dir eine brutal ehrliche, lächerliche Story: Bei meinem zweiten Trip sah ich in einem Buchladen eine VHS-Kassette von Rodney Yee. Er war damals «der» Yogalehrer in den USA und hatte seine Videos über eine Million Mal verkauft. Er ist Amerikaner chinesischer Abstammung und kam übers Ballett zum Yoga. Und da dachte ich mir in meinem jugendlichen Leichtsinn: Was der kann, kann ich auch. Also habe ich mein erstes Teacher Training bei David Swenson absolviert und bin wegen des grossen Flughafens nach Frankfurt gezogen. 

 

Wie hattest Du Dir bis dahin Dein Geld verdient?

 

Neben dem Studium zum Maschinenbauingenieur habe ich rund 1500 Mark als Kampfsportlehrer verdient und hatte ja meine rund 800 Mark BAFöG, also die staatliche Förderung meines Studiums. Ausserdem habe ich für ein koreanisches Institut technische Neuerungen übersetzt, ich war ein kleiner Spion. Dieses ganze Geld habe ich in die Reisen investiert. 

 

Warum hast Du Maschinenbau studiert? War das eine Herzensangelegenheit? 

 

Weil ich es konnte. Ich bin mathematisch begabt und hatte sämtliche Prüfungen mit Bravour abgeschlossen. Und dann habe ich alles hingeworfen, weil ich diese fixe Idee hatte. 

 

Wie hat Dein Umfeld reagiert?

 

Die Professoren haben es nicht verstanden und meine Eltern haben nicht mehr mit mir geredet. 

 

Warum warst Du Dir selbst Deiner Entscheidung so sicher?

 

Ich hatte schon mit 18 ein Demo-Kampfsport-Team, mit dem wir recht erfolgreich bei Shows aufgetreten sind. 1999 hat mich auf der Fitnessmesse FIBO jemand angesprochen, weil er mit mir im Bereich TaeBo arbeiten wollte. Damals kam gerade das Konzept aus den USA – Fitness mit Kampfsportelementen. Also machte ich eine Ausbildung als Aerobictrainer und gab TaeBo-Ausbildungen. Ich habe viel Geld verdient, aber nach zwei Jahren gemerkt, dass das gar nicht meins ist. Body und Mind war total im Kommen, und ich wollte Yoga unterrichten. Also entwarf ich das Konzept «Intensive Yoga» für die Fitnessbranche. 

 

Was war das genau? 

 

Damals gab es ja in Deutschland keine Yogawelt, wie man sie heute kennt. Yoga war entweder esoterisch, fast sektenhaft, oder eben fitnessbetont. Und weil ich aus der Fitnessszene kam, haben wir Yoga für Fitnessstudios entwickelt und DVDs veröffentlicht. Ab Anfang der der 2000er Jahre habe ich in Fitnessstudios gearbeitet und dort Yoga unterrichtet. 

 

Wann trat Inside Yoga auf den Plan? 

 

Das dauerte noch. Zuerst fragte mich 2005 die Besitzerin von Cosmo Yoga, ob ich Head Teacher werden wollte. Weil das damals das grösste Studio in Frankfurt war, gab ich alle meine anderen Kurse ab und konzentrierte mich auf Cosmo Yoga. Mein Plan war, mich nach ein paar Jahren dort einzukaufen. 2007 schloss das Studio völlig unerwartet und meine 200 Schüler und ich standen auf der Strasse. Also habe ich im November 2007 den Mietvertrag für Inside Yoga unterschrieben und im Dezember eröffnet. Der grosse Vorteil war, dass wir von Anfang an genügend Schüler hatten. 

 


War das der Zeitpunkt, zu dem Deine Eltern dann auch mit der Kehrtwende in Deiner beruflichen Laufbahn einverstanden waren?

 

Nein, das war erst vor drei Jahren, als ich im koreanischen Fernsehen zu sehen war. Da sagten sie: «Jetzt hast Du es geschafft, jetzt erkennen wir das an.» Das muss man sich mal vorstellen: es brauchte eine TV-Show, damit meine Eltern zufrieden sind. Meine Mama wollte immer, dass ich «Dr. Kim» heisse. Das kommt daher, dass sie wie die meisten Koreaner einen Komplex haben – die Kinder sollten möglichst viel Bildung bekommen. Und die Uni Aachen, an der ich studiert habe, kennt man sogar in Korea.

 

Wie würdest Du denn reagieren, wenn Deine Kinder Dir eröffnen würden, dass sie – sagen wir – Schauspieler werden wollen?

 

Vor zwei Jahren kam meine älteste Tochter, die in Korea lebt, zu mir und sagte, Papa, ich möchte Tänzerin werden und Mami ist dagegen. Aber ich finde, ich habe nicht das Recht, ihr das zu verbieten. Ich habe ihr nur gesagt, sie soll es sich überlegen und wir sprechen uns in einem Jahr nochmals. Ich unterstütze sie emotional und finanziell, aber ich habe ihr gesagt, dass es verdammt hart werden wird. Inzwischen tanzt sie sechs Stunden am Tag und ist total glücklich. 

 

Wie erging es Dir finanziell als Yogalehrer?

 

Die ersten Jahre habe ich wirklich Dreck gefressen. Vor allem die Euro-Umstellung hat mir zu schaffen gemacht. Alles war auf einmal teurer, Workshops wurden gestrichen. Das ging etwa drei Jahre so, da habe ich wirklich alles verflucht. Doch ich wusste, der Wendepunkt wird kommen. 

 

Hast Du Dir nie gewünscht, Dein Studium beendet zu haben?

 

Ich wäre als Ingenieur, der Schrauben berechnet, nicht glücklich geworden. Deswegen wollte ich immer schon mit Menschen arbeiten und hatte auch schon Gespräche mit einer Unternehmensberatung. In so einem Bereich wäre ich gut gewesen – und hätte mit 42 Jahren bestimmt ein Burnout gehabt.

 

Stattdessen hast Du Inside Flow erfunden, eine Choreographie aus Asanas. Eure Inside-Flow-Events wie Klang des Herzens sind ausverkauft, auch die Asiaten sind verrückt nach Inside Flow. Wie kamst Du auf die Idee, Yoga mit moderner Musik zu verbinden?

 

Typische Yoga-Musik lag mir noch nie, ich bin mit Hip-Hop aufgewachsen. Ich war total happy, als Jivamukti anfing, moderne Musik in den Klassen zu spielen. Dennoch lief die Musik ja nur im Hintergrund und hatte mit der Stunde nichts weiter zu tun. Dann war ich 2008 für ein Retreat in Zell am See in Österreich. Eines Abends trafen wir uns bei einer Freundin, haben gemütlich gekocht und Musik gehört. Als «With Arms Wide Open» lief, habe ich mich spontan ganz intuitiv bewegt. Durch meine Fitness-Zeit wusste ich ja, wie man mit Musik arbeitet. Ich habe dann die CD mitgenommen und die ganze Nacht durch an meinem ersten Flow gearbeitet – und den dann am nächsten Tag unterrichtet.  

 

Und? Wie lief es?

 

Diese erste Stunde war ein historischer Moment für mich! Die 15 Leute, die damals dabei waren, treffe ich heute immer noch und wir sprechen darüber. Die zehn Jahre vor Inside Flow waren schon sehr wild. Aber die danach waren wirklich ein wilder Ritt. 

 

Dein Erfolg bedeutet auch, dass Du selten daheim in Frankfurt bei Deiner Frau und Deinen beiden Kindern bist. 

 

Ja, ich bin 180 bis 200 Nächte im Jahr unterwegs. 

 

Gibt es auch den Young Ho, der im Hotelzimmer sitzt und am liebsten nach Hause möchte?

 

Sehr häufig sogar! Deswegen bin ich oft mit den Kids unterwegs. Und mein Ziel ist es, in den nächsten fünf Jahren weniger als 100 Nächte im Jahr von zu Hause weg zu sein. Ich möchte zum Beispiel mehr Workshops in Frankfurt geben, ich hatte seit zwölf Jahren keinen einzigen Workshop mehr daheim!

 

Du bist oft in Asien: Wo fühlst Du Dich daheim?

 

In Deutschland – dort, wo meine Frau Andrea und die Kinder sind. Meine Reisen nach Asien sind heftig, ich habe keinen Tag frei. Alles ist vollgestopft mit Workshops, Teacher Trainings, Masterclasses, Conventions, Interviews. Ich möchte behaupten, dass ich in Asien eine höhere Reputation habe als in Europa. Dabei bin ich für die Asiaten ein Deutscher, weil mein Mindset nicht koreanisch ist. Gleichzeitig sind die Koreaner stolz auf mich, weil ich es als Koreaner in Europa geschafft habe.

 

Wie sieht Deine eigene Praxis bei solchen Reisen aus?

 

Ich habe morgens keine Praxis. Mein Tag beginnt um 7 Uhr mit einem doppelten Espresso. Wenn ich praktiziere, dann abends. Dann lasse ich meine Lieblingsplaylist laufen, bewege mich dazu und meditiere vielleicht. Aber ehrlich? Auf Reisen endet mein Tag meistens mit einem heissen Bad, einem Glas Rotwein und Jazzmusik. 

 

Was man öfter in Deinen Stunden hört, ist der Satz «Savasana könnt Ihr zu Hause machen» – warum?

 

Ich mag keine festen Strukturen – im Sinne von: Es muss immer ein Om am Anfang und ein Savasana am Ende der Stunde geben. Mir geht es um die Essenz: was will ich denn vermitteln? Und manchmal passt ein Savasana da nicht. Schlussendlich geht es darum, runterzufahren. Das kann man auch im Stehen. Ein Om ist schon okay, aber ich kann auch etwas anderes chanten. Es gibt keinen Beweis dafür, dass beim Big Bang des Universums das Om dabei war … Gemeinsam zu chanten ist eine didaktische Methode, eine Gruppe homogen zu gestalten. 

 

Wie sieht es mit anderen traditionellen Yoga-Philosophien aus? Haben sie für Dich eine Bedeutung?

 

Schlussendlich sind diese ganzen alten Schriften nur Geschichten, die uns etwas erzählen möchten. Wir alle brauchen Geschichten. Aber ich kann die Message auch mit anderen Geschichten rüberbringen. Nenn mich  «bodenständig spirituell» – ich bringe lieber Beispiele aus dem normalen Leben. 

 

Hast Du Deine persönliche Philosophie? 

 

Ich möchte mich als Tantriker bezeichnen, der das Leben bejaht und seine Vielfältigkeit geniessen kann. Und es gibt Bücher von Osho, die mich inspiriert haben. «Geniesse, zelebriere und sei spirituell» ist mein Lebensmotto. Ich glaube, dass Du die Hälfte Deines Lebens kontrollieren und die andere nur wahrnehmen kannst. Da steckt etwas Grösseres dahinter. Hingabe ist wichtig, aber man muss auch wach sein. Ein koreanisches Sprichwort sagt: Jeder Mensch bekommt drei grosse Chancen im Leben. Doch die meisten bemerken sie nicht. Wenn Du wach bist, erkennst Du den Wink mit dem Zaunpfahl und schlägst zu. Bei mir war das mit dem Yoga so.


Young Ho Kim kam als Jugendlicher mit seinen Eltern aus Südkorea nach Deutschland. Am Ende des Maschinenbaustudiums packte den Kampfsportler die Leidenschaft für Yoga. 2007 gründete er in Frankfurt das Studio Inside Yoga und gehört heute zu den bekanntesten Lehrern in Europa und Asien.