Der Schlüssel liegt in Dir selbst

Tanja Seehofer gehört zu den Vorreitern in der deutschsprachigen Yin-Yoga-Szene. Die Wahl-Münchnerin entdeckte die langsame Art des Yoga nach einer grossen Lebenskrise. Lange, bevor es zum Trend wurde. Sie weiss, dass der Körper spüren muss, damit die Seele verstehen kann. 

 


Tanja, wo ist Dir Yoga zum ersten Mal begegnet?

 

Zuhause – auf dem Land, nördlich von München. Meine Mama ist schon lange total begeistert von Yoga. Und als ich 16, 17 Jahre alt war, wollte sie, dass ich mal mitkomme. Ich war damals sehr schüchtern und eher eine graue Maus. Mir war das sehr unangenehm – ich weiss noch ganz genau: Am Schluss haben wir den Fisch gemacht, und ich musste die Brust heben. Oh mein Gott, ich wollte nie wieder hingehen!

 

Später in München hast Du Deine Meinung aber geändert?

 

Ich bin mit 20 nach München gezogen, und mit mir meine zwei besten Freundinnen aus der Holledau. Und irgendwann haben wir Jivamukti Yoga ausprobiert. Das war eine ganz andere Welt: die coolen Leute, die Räucherstäbchen, die Mantren. Da habe ich gemerkt, wie toll Yoga sein kann.

 

Fiel es Dir denn leicht, Dich im Yoga zu bewegen?

 

Das war ja das Tolle: Ich war ziemlich gut im Yoga, obwohl ich Sport in der Schule nie mochte. Aber im Yoga war ich gut, weil ich mich als Kind schon immer verbogen habe. Dadurch war Yoga total easy für mich. Wir haben auch mal bei Sivananda einen Kopfstandkurs besucht, und irgendwann bin ich dann regelmässig ein-, zweimal in der Woche ins Yoga gegangen. Aber es war nie extrem, ich bin nie wegen eines Lehrers irgendwohin gefahren. Maximal ins Sivananda Retreat nach Kitzbühel. 

 

Hast Du damals schon gemerkt, das Yoga auch einen mentalen Effekt hat?

 

Anfangs war das alles sehr körperlich. Klar, mit Anfang 20 war mir mein Körper wichtig. Und weil mir Yoga so leichtfiel, hatte es schnell einen positiven Effekt auf meinen Körper. Das hat mein Ego gepusht und ein wenig etwas von meiner Schüchternheit in Selbstvertrauen umgewandelt. Mentales war nicht wichtig, ich habe nur den Körper gespürt. 

 

Warum spielte die mentale Ebene keine Rolle für Dich?

 

Ich hatte ein Leben voller Fülle, mir flog immer alles zu. Ich war eine richtige Goldmarie. 

 

Du bist ja sogar im Café fürs Fernsehen entdeckt worden, oder?

 

Damals wohnte ich noch daheim. Und als ich mal in München war, hat mich jemand angesprochen, ob ich nicht zum Film möchte. Schlussendlich hatte ich dann sogar – bairische – Sprechrollen, habe in Werbespots mitgespielt und war auf Plakatwerbungen zu sehen. Auch im Job lief das so: Ich habe die erste Bewerbung meines Lebens geschrieben, und sie haben mich unter Hunderten von Leuten ausgewählt für einen Castingjob bei den Bavaria Filmstudios. Deshalb glaube ich auch an die universellen Kräfte.

 

Kann sich die jeder zunutze machen?

 

Es ist lernbar, aber es ist schwierig. Je mehr Du etwas wirklich willst, desto grösser ist der Widerstand. Alles, was Du Dir mit Leichtigkeit und ohne Ego wünscht, klappt. Sobald es Dir nicht zu wichtig ist und Du die momentane Situation akzeptieren kannst. Es muss ein Moment kommen, in dem Du das im Körper spürst und voll loslassen kannst. Aber das kann man sich nicht «erdenken». Jede Zelle im Körper muss es spüren. 

 

Gutes Stichwort. Du tauchst gerade tiefer in die Körperarbeit ein …

 

Diese ganzen Themen wie Achtsamkeit, Geduld, Vertrauen, Zeit, Akzeptanz, Urvertrauen – die fallen einem im Alltag ja schwer. Ich habe viel mit traumsensiblem Yoga gearbeitet und überlege deshalb gerade, mich intensiver mit Psychotherapie zu beschäftigen. Momentan arbeite ich viel mit mir und meinem Körper. Ich spüre hin, welche Gefühle da sind. Man kann viel predigen, aber jetzt, nachdem ich so viel gemacht habe, genau hinzuschauen und den Alltag so zu erleben – da bekomme ich einen Heidenrespekt vor der ganzen Technik. 

 

Warum sind Dir die Gefühle so wichtig?

 

Wenn Du ins Spüren kommst und Dich fragst, was da dahintersteckt, kommt meistens ein Gefühl hoch. Alle Empfindungen sind Gefühle. Doch die Frage ist, warum diese Gefühle auftauchen. Da wollen viele Menschen nicht hinschauen. Aber es ist ja egal, wo es herkommt. Es geht ja darum, es anzunehmen. In der Psychoanalyse zerredest Du alles. Der Kopf versteht es irgendwann, aber im Körper ist es noch drin. Aber je mehr Du Dich mit Deinem Körper beschäftigst, desto wichtiger wirst Du Dir selbst. Und das Thema wird vollkommen egal, es ist ja vergangen. Das ist der Schlüssel für viele Menschen, in den Selbstwert reinzugehen und raus aus der Reaktion. 

 

Du bist selbst durch eine grosse Krise gegangen … 

 

Die Umstände mit meinem damaligen Freund waren etwas schwierig. Da gab es ein autistisches Kind, seinen Ziehsohn, dieser war sehr schwer behindert. Wir haben unser gesamtes Leben dem autistischen Kind gewidmet und geschaut, dass es ihm gut geht. Ich habe alles dafür getan, dass jeder in seinem System leben kann. Aber irgendwann gibst Du Dich auf. Und natürlich gab es auch keine Zweisamkeit mehr. Sozial ist es fast unmöglich so eine Situation zu stemmen und Du brennst aus. 

 

War Yoga damals noch ein Thema für Dich?

 

Wenn’s mir schlecht ging, bin ich immer zum Yoga gegangen. Ich habe meditiert, oder das getan, was ich damals für Meditation hielt. Das hat mich zunächst gerettet. Aber irgendwann habe ich vor dem Jungen, der ja dann schon in der Pubertät war, Angst bekommen. Er wurde sehr gewalttätig, aggressiv und hat sogar auf der Strasse Menschen angegriffen und verletzt. Es wurde immer schlimmer, bis manchmal sogar die Polizei gerufen wurde. Schliesslich haben wir ihn in ein Heim für Autisten zur Betreuung gegeben, wodurch aber mein damaliger Freund schwerst depressiv wurde. Da habe ich gemerkt, dass das alles nicht mehr funktioniert. Er konnte nicht ohne den Jungen und ich nicht mit einem schwerst behinderten Autisten leben. 

 

Dann war klar, dass Yoga allein nicht mehr ausreicht?

 

Ich bin auch einmal in der Woche zu einer Therapie gegangen, um zu reden, das war ganz nett. Aber es hat nicht wirklich etwas verändert. Ich bin sehr schnell für zwei Monate in eine Klinik gegangen. Und das war das Beste, was ich je für mich getan habe. Dort gab es ganz viel Yoga, Meditation, Mentaltraining, Bodyscan – eigentlich all das, was ich jetzt unterrichte. Das war für mich der Anfang von dem, was ich jetzt mache. Ich bin ganz viel spazieren gegangen, habe viel in einer kleinen Kapelle gebetet. Dort hatte ich den ersten Zugang zu meinem Geistführer. Dort habe ich ganz viele Antworten auf meine Fragen bekommen. 

 

Warst Du denn immer schon spirituell?

 

Nein, gar nicht! Ich bin zwar katholisch aufgewachsen, aber mit 20 Jahren aus der Kirche ausgetreten. Aber ich hatte immer viel Urvertrauen und habe immer an diese Energien geglaubt, die manche Menschen «Gott» nennen. Noch nicht mal beim Jivamukti haben mich diese spirituellen Ideen und Philosophien besonders angesprochen. Ich habe mich einfach immer mit diesen Energien verbunden. 

 

Hast Du Dir in der Klinik überlegt, eine Yoga-Ausbildung zu machen?

 

Genau, die wollte ich unbedingt machen, weil ich ja durch das Burnout noch so hektisch war. Aber ich musste die Ausbildung berufsbegleitend machen. Und das gab es nicht. Eine Arbeitskollegin erzählte mir dann von ihrem Lehrer Richard Hackenberg, der im Airyoga in München die Ausbildungen anbot. Also rief ich Richard an. Das war an einem Mittwoch im Februar. Richard sagte mir, der Anmeldeschluss sei im November gewesen und es ginge am Freitag schon los. Aber ich klänge so, als wenn ich das wirklich machen möchte. Also musste ich ihm bis zum nächsten Morgen einen Essay über Yamas und Niyamas verfassen. Ich wusste überhaupt nicht, von was er redet und daheim hatte ich ja gar keinen Computer. Also sass ich bis nachts um eins in der Bavaria und habe diesen Essay geschrieben. Die Ausbildung fand ich dann extrem schwierig – ich und Anatomie! Und die Philosophie auf Englisch! Aber gleichzeitig war es wahnsinnig toll. 

 

Hast Du dann gleich unterrichtet?

 

Nach der Ausbildung hat mich Christine May gefragt,
ob ich ihr assistieren möchte – am selben Abend in der Vinyasa-Flow-Stunde. Und dann kam samstags die
Deep-Slow-Klasse dazu. Der Anfang war katastrophal, weil ich wie ein Wiesel durch die Stunde flitzte. Dort habe ich gelernt, langsam und achtsam zu sein. Christine hat mir wunderbar beigestanden, den Schülern beizubringen, liebevoll runterzufahren. Und dann fiel Christine aus und die Frage tauchte auf, ob ich einspringe, was anfangs Panik in mir auslöste. Irgendwann konnte ich die Stunde ganz übernehmen. 

 

Das war der Anfang Deiner Yin-Yoga-Karriere?

 

Irgendwann wurden mir die immer selben Asanas zu langweilig und ich habe mich gefragt, welche Asanas
man länger halten könnte. Ich habe geforscht, wobei man

damals ja von Yin Yoga noch gar nichts gehört hatte. Gleichzeitig kamen immer mehr Leute, 40, 50, jeden Samstag. Eines Tages kam Josh Summers ins Airyoga und
ich dachte: Ach, das ist ja das, was ich mache –
das nennt man Yin Yoga? Wir waren zu fünft oder zehnt
im ersten Teacher Training, das hat damals noch niemanden interessiert. 


 

 

Aber Du selbst konntest in München nie bei einem Lehrer praktizieren?

 

Ich habe ganz viel zu Hause geübt und immer, wenn Josh da war, bei ihm. Ausserdem gab es noch Christine Ranziger, die viel bei Sarah Powers Yin Yoga praktiziert hatte. Wir beide waren die einzigen, die in München Yin Yoga unterrichtet haben, wobei Christine es damals noch Luna Yoga nannte. Bei ihr war ich oft in den Stunden und habe Privatunterricht genommen. Aber Flows und Übergänge habe ich zu Hause geübt.

 

Hast Du auch noch aktives Yoga praktiziert?

 

Wenig. Ich ging noch ins Jivamukti. Aber dann habe ich mir die Ferse gebrochen. Ich habe mit Krücken unterrichtet und wollte mich bewegen und meinen Körper spüren, aber das ging ja nicht! Also habe ich gelernt, zu meditieren. Also war der Fersenbruch ein Geschenk – so kam ich zur Langsamkeit.

 

Wenn wir so übers Spüren im Körper reden, erinnert mich das an Deine Zwanziger: Da war das Yoga auch sehr körperlich für Dich.

 

Ja, aber es hatte mit Bewegung zu tun. Jetzt bin ich in Stille, in der Meditation, und gehe ins Spüren des Körpers rein. Ich benutze zwar meinen Körper, aber als Werkzeug auf einer mentalen Ebene.

 

Nutzt Dir Deine Arbeit mit Dir und Deinem Körper auch im Umgang schwierigen Situationen? Zum Beispiel mit anderen Menschen?

 

Ich versuche immer, auf mich zurück zu kommen. Warum triggern mich bestimmte Situationen? Warum brauche ich sie? Was ist bei mir noch zu lösen, damit es mich nicht mehr berührt? Die anderen können ja ruhig so sein, das ist dann so. Im besten Fall merkst Du es gar nicht mehr. Es geht um Selbstwert und Selbstliebe und nicht darum, dass andere Schuld tragen. Das Geheimnis ist, gleichzeitig kritisch und liebevoll mit und zu sich zu sein. Zu reflektieren, ohne böse auf sich zu sein. Nächstes Mal kann man es ja einfach anders machen. So löst sich immer mehr bei bestimmten Themen und das Leben wird leichter. 

 

Und wenn Du im Yin Yoga ganz in der Ruhe bist und dann Deine Gedanken mit Dir durchgehen?

 

Je mehr Du in den Körper gehst und fühlst, desto weniger denkst Du. Beides gleichzeitig geht gar nicht. Ich versuche, Anapana zu praktizieren, also meinen Atem zu beobachten. Das ist für mich der erste Schritt. Wenn Du zu viel denkst, gehst Du in den Körper rein und fragst Dich, was Du gerade spürst. Dann kannst Du nicht mehr an den Einkauf von morgen denken. Wenn Du das übst, merkst Du, wie wichtig Du Dir selbst bist und wie egal Dir der Gedanke ist. Weil die Energie bei Dir ist. Dich selbst kennenzulernen auf dieser Erde, das ist der Schlüssel zu allem. 


Tanja Seehofer ist Yogalehrerin, Mental Trauma Coach, Moderatorin, Kolumnistin und Autorin von Büchern wie «Yoga für den Inneren Frieden», «Yin Yoga des Herzens» oder «Yoga gegen Burnout». Mehr Infos unter www.tanjaseehofer.de.